In dieser Sitzungswoche standen für mich die deutschen Nachrichtendienste besonders im Fokus: Am Montag fand die jährliche öffentliche Anhörung der Präsidenten der drei deutschen Geheimdienste statt und am gestrigen Tag hielt ich einen Vortrag auf der Berliner Nachrichtendienstkonferenz des „Behördenspiegel“ im Hotel Adlon. Über allem stand der Leitsatz meiner Geheimdienstpolitik: Wir brauchen eine Zeitenwende für unsere Nachrichtendienste. Deutschland hat drei Nachrichtendienste: Das Bundesamt für Verfassungsschutz als Inlandsgeheimdienst, den Bundesnachrichtendienst als Auslandsgeheimdienst und den Militärischen Abschirmdienst als Militärgeheimdienst. Und alle sind gefordert wie nie seit dem Kalten Krieg.
BND-Präsident Bruno Kahl sagte am Montag, dass russische Streitkräfte spätestens Ende dieses Jahrzehnts in der Lage sein dürften, einen Angriff auf die NATO durchzuführen. Die Eskalationsbereitschaft Russlands habe ein ungeahntes Ausmaß erreicht. Verbunden mit dem Hinweis darauf, dass Deutschland der zweitgrößte Unterstützer der 2022 von Russland überfallenen Ukraine sei, sagte er, dass der Kreml Deutschland längst als Gegner sehe. Putin gehe es nicht nur um die Ukraine, sondern um die Schaffung einer neuen Weltordnung. Die russischen Geheimdienste agierten, so Kahl, ohne jeden Skrupel und verstärkt mit allen ihren Möglichkeiten. Sein Ziel ist es, die NATO vor einem möglichen Krieg zu spalten und dafür werde die Verteidigungsfähigkeit und die Verteidigungsbereitschaft unseres transatlantischen Bündnisses immer wieder getestet. Diesen Eindruck teile ich.
Doch nicht nur Russland, auch China, islamistischer Terrorismus sowie Islamismus, Linksextremismus und Rechtsextremismus, auch im Inland, fordern die Sicherheitsbehörden immer mehr. Im Gegensatz zu unseren europäischen und amerikanischen Partnern werden die Geheimdienste in Deutschland in ihren rechtlichen Befugnissen und damit auch in ihren technischen Fähigkeiten durch Gerichtsurteile, aber auch durch politische Entscheidungen der Ampel, immer weiter beschnitten.
Die Bundesregierung schreibt in ihrer Sicherheitsstrategie zwar richtig, dass wir Sicherheit integriert begreifen müssen. Daraus folgt allerdings, dass die vom Bundeskanzler postulierte Zeitenwende ebenfalls alle Facetten von Sicherheit umfassen und auch die Nachrichtendienste als Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur begreifen muss. Diesen Schluss setzt die Ampel-Regierung aber bislang nicht um. Nachrichtendienste werden eher als notwendiges Übel, gar als Bedrohung für individuelle Freiheitsrechte, gesehen und nicht als zentraler Teil einer integrierten Sicherheitspolitik. In der Realität sind wir sowohl bei der militärischen Verteidigung als auch bei den Nachrichtendiensten auf die Unterstützung unserer Partnerdienste angewiesen. Eine ganzheitliche Reform in der Sicherheitspolitik erfordert jedoch auch eigenständige smarte Nachrichtendienste. Wo die Ampel eine Überwachungsgesamtrechnung fordert, fordern wir eine Bedrohungsgesamtrechnung, um daraus den Fähigkeitsbedarf und gesetzliche Anpassungen für die Dienste abzuleiten.
Erstens müssen sich Nachrichtendienste breiteren, vernetzten, hybriden Aufgaben in den Bereichen Cyber, Spionageabwehr und insbesondere internationalen Finanzströmen stellen. Sie benötigen hierzu neue Analysetools. Wenn der wichtige Aufklärungsansatz „follow the money“ erfolgreich angewandt werden soll, müssen beispielsweise die Hürden für die Einholung von Bankauskünften gesenkt werden. Zweitens muss die Zusammenarbeit zwischen Bund und Länderdiensten intensiviert werden. Der Informationsaustausch in gemeinsamen Zentren muss gestärkt statt durch eine sachfremde bundeseinheitliche gesetzliche Regelung ausgetrocknet werden. Ebenso muss die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste europaweit gestärkt werden. Drittens müssen unsere knappen Ressourcen strategisch und effektiv eingesetzt werden. Hier wird ein zentraler Technischer Nachrichtendienst anzustreben sein, der übergreifend für alle drei Dienste exklusive Fähigkeiten nutzt und Informationen direkt vernetzt weitergibt. Schon lange ist ein technischer Wettstreit entfacht, in dem die deutschen Nachrichtendienste nicht auf die letzten Plätze gezwungen werden dürfen. Vielmehr muss die Grundlage dafür gelegt werden, in Deutschland eigene Software für nachrichtendienstliche Aufgaben zu erforschen und zu entwickeln.
Auch muss den Diensten die Möglichkeit gegeben werden, mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit in ihrer Arbeit zu zeigen, um zur Entwicklung einer strategischen Kultur im Land beizutragen, beispielsweise durch die regelmäßige Veröffentlichung von Lagebildern. Wenn der Staat sein Sicherheitsversprechen gegenüber den Bürgern einlösen will, brauchen wir nicht nur die bestkontrolliertesten, sondern die leistungsfähigsten Nachrichtendienste der Welt. Verantwortliche Politik muss endlich die Aufgaben und Befugnisse der Nachrichtendienste den Realitäten anpassen. Es braucht deshalb eine Änderung des Mindsets und das Überarbeiten von überholten Positionen. Auf das Geflecht der Bedrohungen von heute und morgen passen die Rezepte von gestern nicht. Unsere Nachrichtendienste müssen im Sinne der Verteidigung der Demokratie in den heutigen Polykrisen stark und wehrhaft sein. Sie bedrohen die Bevölkerung nicht, sondern schützen sie.
Fotos: Deutscher Bundestag Parlamentsfernsehen/Maximilian Lüderwaldt