Am 24. Februar jährte sich der Beginn des völkerrechtswidrigen, brutalen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Seit einem Jahr erreichen uns täglich Bilder des Krieges und des Grauens aus den Kriegsgebieten, Bilder der Verwüstung und des unermesslichen Leids. Dabei mussten wir feststellen, dass nicht nur russische Soldaten, sondern offenbar auch die russische Führung nicht vor Kriegsverbrechen zurückschrecken, dass Zivilisten getötet werden, dass ukrainische Kinder ihren Familien entrissen und nach Russland verschleppt werden, um dort zu Russen erzogen zu werden. Wir erleben aber auch die Widerstandskraft der ukrainischen Armee und des ukrainischen Volkes in diesem Krieg. Die Menschen kämpfen für ihre Freiheit mit einem bewundernswerten Einsatz. Bereits drei Tage nach Beginn dieses Krieges kam der Deutsche Bundestag zu einer als historisch anzusehenden Sitzung zusammen, auf der Bundeskanzler Olaf Scholz zu recht das Wort einer „Zeitenwende“ prägte.
Die Auswirkungen des Kriegs und der nötigen Reaktionen auch auf Deutschland sind erheblich: Mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine haben inzwischen hier Schutz und Aufnahme gefunden, die Umstellung der Energie- und Wärmeversorgung weg vom russischen Gas hat zu erheblichen Turbulenzen geführt und eine Inflationsspirale angefacht, die viele Menschen ganz persönlich in ihrer Lebensführung trifft. Das Sondervermögen für die Bundeswehr und die Unterstützung der Ukraine mit westlichen Waffen, der Schutz kritischer Infrastruktur und die Auseinandersetzung mit russischer Propaganda haben schließlich Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit einen Stellenwert gegeben, wie wir es seit dem Kalten Krieg nicht mehr erlebt haben.
Ein Jahr Angriffskrieg auf die Ukraine, ein Jahr Zeitenwende, dies war gestern Anlass für eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers und eine Debatte im Deutschen Bundestag, bei der die Union sich grundsätzlich einig mit der Regierung zeigte, was die Bewertung des Krieges und die Unterstützung der Ukraine angeht. Allerdings mahnte Friedrich Merz zu recht, dass die Regierung hinter den selbstgesetzten Ansprüchen einer Zeitenwende erheblich zurückbleibe. Bei Waffenlieferungen war die Regierung zu zögerlich und hat sich in der Frage der Kampfpanzer zu lange hinter den Amerikanern versteckt, aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr ist bis heute nahezu nichts abgeflossen, der Verteidigungshaushalt im Jahr 2023 ist geringer als im Vorjahr statt wie vom Kanzler versprochen das 2%-Ziel der NATO zu erfüllen, eine Nationale Sicherheitsstrategie liegt trotz Ankündigung immer noch nicht vor und die Reform des Beschaffungswesens lässt ebenfalls auf sich warten.
Olaf Scholz verfolgt eine Strategie des Zauderns und Zögerns, die offenbar auch wegen Widerständen aus den eigenen Reihen nötig ist, während gleichzeitig in anderen Politikbereichen von Zeitenwende nur wenig zu spüren ist. Zu erinnern ist an die chaotische Politik der Regierung im Herbst, in der viel wertvolle Zeit verloren wurde, bis die Regierung sich endlich auf eine Preisbremse für Strom und Gas verständigte. Statt die Industrie in dieser beispiellosen Situation wirksam zu unterstützen und zu entlasten, werden die Rahmenbedingungen für die Produktion am Standort Deutschland immer schlechter, auch weil es keinen verlässlichen Industriestrompreis gibt. Die Koalition gibt dabei ein Bild der Zerstrittenheit ab, in der mehr und mehr deutlich wird, dass die FDP mit ihren Partnern fremdelt, auch weil ihre Wähler das Agieren dieser Koalition in weiten Teilen nicht mittragen und sich abwenden.
Es bleibt also festzuhalten, dass es einfacher ist, eine Zeitenwende auszurufen, als diese dann in Politik zu übersetzen und aktiv zu gestalten. Hier fehlt es dem Kanzler an Mut und der Regierung an Einigkeit und an Konzepten. Aus Sicht der Union sind diese aber bitter nötig. Es gilt die Ukraine entschlossen zu unterstützen unsere Resilienz und Verteidigungsfähigkeit rasch zu erhöhen und die Unternehmen im Land zu halten. Im Jahr 2022 trug die Industrieproduktion erstmals weniger als 20% zum Bruttoinlandsprodukt bei, auch weil aufgrund des Gasmangels und der Energiepreise Produktion gedrosselt wurde. Hier muss dringend mehr für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft getan werden, damit sich die Zeitenwende nicht als Deindustrialisierungswende erweist.