Es war eine breit angelegte, koordinierte Aktion der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern: Am 7. Dezember wurden 25 Haftbefehle vollstreckt, davon 23 in Deutschland, 162 Objekte wurden durchsucht, etwa 3000 Polizeibeamte waren im Einsatz gegen eine Gruppe aus der Reichsbürgerszene, die geplant hatte, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung abzuschaffen und dazu auch konkrete Planungen aufgestellt hatte. Kaum war das erste Echo über die Verhaftungen verhallt, gab es Stimmen, die das Vorgehen der Sicherheitsbehörden ins Lächerliche zogen und von einem „Seniorenputsch“ sprachen oder die Fähigkeit der Verschwörer durch den Kakao zogen, sie könnten ernsthaft einen Putsch in Deutschland zuwege bringen.
Nach zwei Sondersitzungen von Innenausschuss und Parlamentarischem Kontrollgremium, an denen ich letzten Montag teilgenommen habe, kann ich nur davor warnen, diese Gruppierung zu verharmlosen. Es ist nicht maßgeblich, wie realistisch die Umsetzung solcher Putschpläne ist. Entscheidend ist, dass das Ziel verfolgt, entsprechende Strukturen ausgebildet wurden und die Bereitschaft bestand, die eigenen Ziele unter Anwendung von Gewalt durchzusetzen. Auch der RAF-Terror der 1970er, 1980er und 1990er Jahre drohte nicht unsere Demokratie zu gefährden. Es kostetet aber mehr als 30 Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft das Leben und verbreitetet Angst und Schrecken in unserem Land.
Mit Blick auf die aktuellen Razzien lohnt sich ein näherer Blick auf die Fakten:
- Die so genannte Reichsbürgerszene, die die Legitimation der Bundesrepublik nicht anerkennt und somit den Fortbestand des Deutschen Reiches postuliert, besteht nicht aus harmlosen Spinnern. Die Szene ist durchaus bedeutsam. So rechnen die Sicherheitsbehörden mit etwa 23.000 Reichsbürgern in Deutschland, von denen etwa 10 % gewaltbereit seien. Im vergangenen Jahr wurden aus der Szene mehr als 1300 Straftaten begangen, davon 239 Gewaltdelikte (beides mit stark steigender Tendenz). 2016 wurde ein SEK-Beamter der bayerischen Polizei bei einem Einsatz gegen einen Reichsbürger erschossen und drei weitere Beamte angeschossen.
- Die Pläne der jetzt ausgehobenen Gruppe bestanden nicht nur aus dem in der Berichterstattung vielfach erwähnten „Rat“, der mit einer Ressortverteilung eine Art Übergangsregierung darstellen sollte, sondern es gab offenbar auch konkrete Überlegungen auf dem Weg dorthin. So gibt es zumindest Hinweise darauf, dass man einen Angriff auf den Bundestag plante, auf regionaler Ebene sollten Heimatschutzkompanien gebildet werden, die offenbar Politiker festnehmen und wohl auch töten sollten. In Thüringen, Baden-Württemberg und ansatzweise auch in Sachsen wurden solche Kompanien auch schon gebildet. Ganz konkret gab es mehrere Mitglieder der Gruppe mit Erfahrungen bei Militär und Polizei, zudem versuchte die Gruppe auch in diesen Bereichen zu rekrutieren, mindestens ein Schießtraining fand statt. Es gab Versuche, Munition und Waffen zu beschaffen und es gab mehrere Kontakte zu russischen Konsulaten. Es waren also nicht Spinnereien, sondern man arbeitete gezielt auf konkrete und gewalttätige Aktionen hin.
- Bei den Durchsuchungen wurden nicht nur 93 Waffen gefunden, darunter zahlreiche Schusswaffen, sondern auch mehrere Tausend Schuss Munition, dazu militärisch nutzbare Ausrüstung, wie Schutzwesten, Uniformen, Generatoren und Nachtsichtgeräte.
- Die Gruppe war keineswegs auf die 25 Festgenommenen begrenzt, sondern es wird von 54 Personen ausgegangen gegen die ermittelt wird, insgesamt werden mindestens 90 Personen als Unterstützer gezählt. Zwischen 120 und 130 Personen haben Schweigevereinbarungen der Gruppierung unterzeichnet, hier wird noch ermittelt wie tief sie in die Aktivitäten involviert waren.
- Mindestens drei aktive und ehemalige AfD-Mitglieder gehörten zu den Verschwörern, darunter eine ehemalige Bundestagsabgeordnete; auch diesen Verbindungen wird weiter nachzugehen sein.
- Es gab reichlich militärische Erfahrung in der Gruppe, ehemalige Bundeswehrsoldaten und Polizisten gehörten sowohl zum engeren Kreis, als auch zu den Unterstützern. Gleichzeitig ist es besorgniserregend, dass die Verdächtigen oft aus der Mitte der Gesellschaft kamen. Neben der erwähnten ehemaligen Abgeordneten und Richterin gehörte ein Rechtsanwalt, eine Ärztin, ein Starkoch sowie mehrere Unternehmer dazu, zumeist Personen die niemals strafrechtlich auffällig geworden sind.
Insofern bin ich sehr dankbar für das konsequente Durchgreifen der Sicherheitsbehörden. Es ist gut, dass es bei den Maßnahmen keine verletzten Polizisten gegeben hat. Besorgniserregend ist jedoch, dass die Medien von den Razzien bereits frühzeitig und breit informiert worden waren, obwohl selbst die Bundesinnenministerin nach eigener Auskunft erst am Tag zuvor davon erfahren hat. Inwieweit diese Durchstechereien den Erfolg der Durchsuchungen vermindert haben, wird zu klären sein. Klar ist jedenfalls, dass diese mediale Inszenierung der Akzeptanz der Maßnahmen geschadet hat. Welche Konsequenzen aus diesem Vorgang zu ziehen sind, muss in Ruhe bewertet werden. Dies betrifft auch das Disziplinarrecht für Staatsbedienstete. Hier brauchen wir eine hohe Sensibilität hinsichtlich der Verfassungstreue von Staatsdienern, aber auch rechtsstaatliche Prinzipien, damit Beamte nicht voreilig und leichtfertig aus dem Staatsdienst entfernt werden können. Auch bei Verschärfungen im Waffenrecht muss der Nutzen geprüft werden. Entscheidend ist die konsequente Anwendung bereits bestehender Regeln. Schließlich wurde das Waffenrecht in der letzten Legislaturperiode bereits zweimal deutlich verschärft.
In den vergangenen Tagen fanden außerdem Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der „Letzten Generation“ statt, einer Vereinigung die mit zunehmend radikaleren Klimaprotesten von sich reden macht. Neben Straßenblockaden und der Beschädigung von Kunstwerken gehört mittlerweile auch der Einbruch in den Sicherheitsbereich von Flughäfen und die Blockade von Landebahnen zum kriminellen „Portfolio“ für den guten Zweck. Diese gefährlichen Eingriffe in den Luftverkehr verursachen erhebliche Schäden, bergen große Gefahren, zum Beispiel falls die Landebahn für eine Notlandung benötigt wird, und verursachen durch Umleitungen und Warteschleifen erheblichen CO2-Ausstoß. Auch wenn die Durchsuchungen bei Mitgliedern der „Letzten Generation“ im Zusammenhang mit Sabotageakten an der Raffinerie Schwedt stehen, ist von weiteren Ermittlungsverfahren auszugehen. Mittlerweile ist das Begehen von Straftaten die eigentliche DNA der Gruppierung. Es geht um Straftaten, die sich nicht spontan aus legalen Protesten entwickelt haben, sondern in permanenter Abfolge und eskalierend geplant werden. Zunehmende Verbindungen zu Linksextremisten müssen auch hier unsere Wachsamkeit erhöhen, zudem legen Äußerungen von Mitgliedern nahe, dass demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien aus Sicht dieser Gruppierung für das Erreichen der Ziele eher als hinderlich angesehen werden.
Wir brauchen einen starken Staat mit funktionierenden Verfassungsschutz- und Sicherheitsbehörden und wir brauchen ein Zusammenstehen unserer Gesellschaft. Heute wird deutlicher denn je, dass die demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung nicht selbstverständlich ist. Im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und der Bekämpfung der Gefahren müssen gerade die Sicherheitsbehörden immer wieder neue und angemessene Antworten finden. Wir als Union stehen für einen 360-Grad-Blick und die Bekämpfung aller extremistischen Bestrebungen.