Gerade erst hatte die Bundesregierung sich entschieden, die gültigen Coronabeschränkungen weitgehend aufzuheben, die Maskenpflicht im Wesentlichen abzuschaffen und den Ländern die Möglichkeiten für schärfere Regeln im Sinne eines Lockdown zu entziehen, da folgte schon der nächste Schritt: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verkündete, dass die Quarantäne Infizierter nur noch auf freiwilliger Basis erfolgen solle. Niemand hätte also einen Coronainfizierten davon abhalten können, wissentlich seine Kollegen und Freunde anzustecken. Dieser Vorstoß hat dann offenbar für derartige Irritationen auch in den eigenen Reihen gesorgt, dass der Minister dies Vorhaben zurücknahm und bekannte, das Signal sei „falsch und schädlich“.
Völlig widersprüchlich und unausgegoren war das Verhalten der Regierung auch in Sachen Impfpflicht, die gestern im Bundestag gescheitert ist. Weil die Koalition aufgrund erheblicher Bedenken in den Reihen der FDP keine eigene Mehrheit für eine Impfpflicht hatte, verlegte man sich auf Gruppenanträge. Dabei hoffte die Regierung im Stillen darauf, dass die Unionsabgeordneten einem der Anträge zu einer Mehrheit verhelfen würden. Es ist aber nicht Aufgabe der Opposition, die Arbeit der Regierung zu machen oder sich als Mehrheitsbeschaffer zur Verfügung zu stellen. Gleichwohl haben wir uns der Debatte nicht verweigert und uns als Fraktion dafür entschieden, einen Antrag einzubringen, in dem wir ein Impfvorsorgegesetz fordern. Inhalte sind insbesondere die Erstellung eines Impfregisters, die Schaffung niedrigschwelliger Impfangebote und einer Informationspflicht der Bundesregierung. Dieser Antrag hätte uns in die Lage versetzt, die Impfquote auch ohne Zwang zu erhöhen und im Falle neuer gefährlicher Virusmutationen durch das Impfregister rasch auch mit einer Impfpflicht zu reagieren. Leider wurde dieser maßvolle, als Kompromiss geeignete Antrag gestern abgelehnt.
Abgelehnt wurde jedoch auch der kurz vor der Abstimmung aus den Reihen der Ampel erarbeitete aus zwei Gruppengesetzentwürfen bestehende „Kompromissvorschlag“, der eine Impfpflicht zunächst nur für Personen ab 60 Jahren und eine Beratungspflicht für Ungeimpfte vorgesehen hatte. Ein Impfregister sollte ebenfalls eingeführt werden. Diesem Wunsch der Union hatte man sich lange verweigert. Unsere Fraktion konnte diesem auch handwerklich schlechten Gesetzentwurf nicht zustimmen. Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Zum jetzigen Zeitpunkt gibt die Lage eine Impfpflicht aus unserer Sicht nicht her. Es gibt keine Überforderung des Gesundheitswesens und die Verläufe sind meist mild. Ob sich das in der nächsten Welle ändert und ob die jetzt verfügbaren Impfstoffe wirksam sind oder man andere nutzen muss, kann heute nur gemutmaßt werden. Der schwere Grundrechtseingriff in die körperliche Unversehrtheit durch eine Impfpflicht quasi auf Vorrat ist verfassungsrechtlich zumindest fragwürdig. Es muss immer das mildeste Mittel genutzt werden.
- Der in letzter Sekunde vorgelegte Gesetzentwurf von Scholz, Lauterbach und Co. einer Impfpflicht ab 60 ist weitgehend sinnlos, weil in dieser Altersgruppe bereits rd. 90% der Menschen geimpft sind. Von den rd. 19 Millionen Über-60-Jährigen sind 17 Millionen geimpft und ein weiterer Teil genesen.
- Der Gesetzentwurf der Impfpflicht ab 60 sieht keine Ausnahmen für Vorerkrankte, psychisch Erkrankte oder Menschen die unter großen Ängsten leiden vor. Zudem wird die dort geforderte Beratungspflicht für alle anderen ungeimpften Personen nichts bringen. Nur 2% aus dieser Gruppe können sich vorstellen, ihre Entscheidung durch eine Beratung zu überdenken. Zudem lehnen die kommunalen Spitzenverbände und die Krankenkassen diese Beratungspflicht ab und somit stellt sich die Frage, wie man ohne Impfregister die Menschen überhaupt erreichen will. Es entsteht ein Bürokratiemonster ohne Nutzen.
- Eine Impfpflicht befriedet die Situation nicht. Viele Menschen sind zu Recht oder zu Unrecht verängstigt oder fühlen sich unter Druck gesetzt. Dies erzeugt erheblichen Gegendruck und eine Frustration, die sich schon jetzt in vielen hundert Zuschriften ausdrückt, die alle Abgeordneten erreichen. Ich habe große Zweifel, ob sich diese Menschen bei einer Impfpflicht impfen lassen würden. Wenn man eine Impfpflicht einführt, dann muss man sich in einer Notlage befinden und des Nutzens sehr sicher sein. Dies war vielleicht im November 2021 gegeben. Damals hat es die Bundesregierung unter Olaf Scholz verpasst, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Eine Impfpflicht würde die Gesellschaft bei fraglichem Nutzen mit Sicherheit weiter spalten.
Die Ampel hatte sich früh auf eine Impfpflicht festgelegt, dafür aber viele in der FDP nicht gewinnen können. Eine ergebnisoffene Diskussion ist mit der Union nicht geführt worden. Das Ergebnis ist eine herbe Niederlage für die Regierung. Das Ausbleiben der Impfpflicht sollte niemanden beunruhigen. Wir befinden uns damit in bester Gesellschaft in der Welt, in der eine Impfpflicht in demokratischen Staaten die absolute Ausnahme ist. Und die wenigen Länder in Europa mit Impfpflicht können keine höhere Impfquote aufweisen als Deutschland.